Schule & Ausbildung

Die beruflichen Chancen für Jugendliche sind ungleich verteilt

Auch in der Schweiz stehen nicht allen Kindern die gleichen Möglichkeiten offen. Die Startbedingungen sind ungleich und für manche Jugendliche gestaltet sich der Einstieg ins Berufsleben schwierig. Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sind gefordert, damit auch junge Menschen mit weniger guten Schulnoten und wenig Unterstützung von zu Hause, eine berufliche Zukunft haben.
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Pro Juventute informiert über die unterschiedlichen Startbedingungen Jugendlicher ins Berufsleben.

Anna, Selma, Jonas und Milan besuchten zusammen die Primarschule und stammen aus unterschiedlichen Elternhäusern. Seit sich ihre Wege in der Oberstufe getrennt haben, sind ein paar Jahre vergangen. Inzwischen verfolgen die vier Teenager unterschiedliche berufliche Ziele. Weil nicht alle optimale Startbedingungen besitzen, gestaltet sich auch der Einstieg ins Berufsleben nicht überall ganz leicht.

Den eigenen Weg finden

Für Anna, die aus einer Akademikerfamilie stammt, war es irgendwie schon immer klar, dass sie das Gymnasium besuchen und später mal studieren würde.

Selmas Eltern sind aus Bosnien, arbeiten aber schon lange in der Schweiz und die Familie ist gut integriert. Für die Schule musste Selma viel arbeiten und sich anstrengen. Nach der obligatorischen Schulpflicht machte sie sich auf Lehrstellensuche. Ihr Traum ist es, mit Kindern zu arbeiten. Vorerst fand sie eine Praktikumsstelle in einer Kita und hofft nun, dass sie nach einem Jahr einen Ausbildungsvertrag erhält.

Obwohl die Eltern Jonas stets unterstützt haben, war Schule nie sein Ding. Statt sich hinter Büchern zu vergraben, will er lieber eine praktische Tätigkeit ausüben. Nachdem er sich auch noch bei der Berufsberatung informierte, bewirbt er sich für eine Lehrstelle in einer Schreinerei und freut sich auf diese Ausbildung.

Schwierige Startbedingungen

Milan brachte es in der Schule nie auf einen grünen Zweig. Bald verging ihm die Lust am Lernen und er fühlte sich zunehmend verunsichert gegenüber seinen Klassenkameradinnen und -kameraden. Weil seine Eltern viel und hart arbeiteten, hatten sie keine Zeit, ihrem Sohn auf die Finger zu schauen. Immer öfter hatte Milan seine Hausaufgaben nicht gemacht und sich nicht auf angekündigte Prüfungen vorbereitet. Seine Leistungen liessen merklich nach. Obwohl ihn das eigentlich wurmte, überspielte er seine Unsicherheit mit auffälligem und unangepasstem Verhalten. Auch in der Berufsberatung wirkte er unmotiviert. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Suche nach einer Lehrstelle. Er bekam eine Absage nach der anderen und setzte sich noch mehr in Szene, um seine Enttäuschung nicht preiszugeben.

Durch die Maschen gefallen

Nicht nur Milan, auch andere Jugendliche haben es schwierig, eine Lehrstelle zu finden. Schlechte Schulnoten, ein fehlendes soziales Netz, ein forderndes Auftreten, mangelnde Umgangsformen und Unzuverlässigkeit sind mögliche Gründe für Absagen. Oftmals verstecken Jugendliche ihre echten Empfindungen hinter einer Fassade und tun so, als ob alles an ihnen abperlen würde. Sie vermitteln den Anschein, dass Rumhängen cool ist und sie gar nicht arbeiten wollen. In Tat und Wahrheit fällt es ihnen schwer zuzugeben, dass Nichtstun gar nicht so lustig ist. Sie leiden darunter, dass sie anders sind als ihre Kollegen und wären froh, sie könnten arbeiten. Wenn es also wieder nicht klappt mit einer Lehrstelle geht das bei den Jugendlichen tiefer als man denkt.

Der Prozess der Berufsfindung

Jugendliche in der Berufswahl lassen sich in drei Gruppen einteilen:

Bei der ersten Gruppe wird die Berufsfindungsphase eng durch die Eltern begleitet. Diese Mütter und Väter sind interessiert, dass ihr Kind einen Beruf wählt, der ihm entspricht.

Bei der zweiten Gruppe kümmern sich die Eltern nicht oder kaum darum. Aus welchen Gründen auch immer, überlassen sie die Teenager in gewissem Sinne ihrem Schicksal. Im Idealfall übernehmen Lehrerinnen und Lehrer die fehlende Beratungsfunktion und helfen mit, nach beruflichen Optionen zu suchen. Zu all diesen schwierigen Bedingungen spielen oftmals auch eingeschränkte intellektuelle Fähigkeiten mit.

In der dritten Gruppe werden die Kinder überbehütet. Obwohl diese Eltern nur das Beste für ihr Kind möchten, hängt der Sohn oder die Tochter möglicherweise ab, wenn der Freiraum fehlt und Entscheidungen nur von Erwachsenen gefällt werden. Ein zu viel an Druck ist ebenso wenig förderlich, wie zu wenig elterliche Unterstützung.

Weichen stellen, ist nicht einfach

In ihrem Verhalten und in ihren Strategien unterscheiden sich Mädchen und Jungen stark. Mädchen sind oftmals am Planen und wissen, wie es weitergehen soll. Jungs lassen sich eher treiben, setzen auf die Karte «laisser faire» und tun so, als ob sie unverletzlich wären. Dass Jugendliche sich heutzutage immer früher entscheiden müssen, macht es nicht einfacher. Zudem mangelt es in der Arbeitswelt an hochspezialisierten Fachkräften, Arbeit für weniger qualifizierte Personen fehlt.

Aussenseiter des Systems

Damit intellektuell schwächere oder psychisch weniger belastbare Leute ebenfalls berufliche Chancen und Optionen haben, braucht es politische Lösungen, die greifen. Einfache Arbeiten fallen immer häufiger weg, sie werden von Maschinen übernommen und in Schwellenländer ausgelagert. Die Anforderungen an Arbeitskräfte steigen. Alles muss schnell gehen. Braucht jemand zu lange, um eine Aufgabe zu erledigen, fehlt es an Geduld und Zeit.

Faire Bedingungen schaffen

Plätze mit weniger rauen Arbeitsbedingungen und insgesamt ein besseres Verständnis für schwächere Jugendliche wären wünschenswert. Mit Attest Ausbildungen versucht man dieses Problem in den Griff zu bekommen. Personen mit schulischen Schwierigkeiten können eine zweijährige berufliche Grundbildung (Lehre, Berufslehre) absolvieren und mit dem eidgenössischen Berufsattest EBA abschliessen. Das praktische Know-how wird in einem Lehrbetrieb erworben und die theoretischen Kenntnisse an einem Tag pro Woche an einer Berufsfachschule vermittelt. Ein lobenswerter Ansatz, obwohl sich die Frage aufdrängt: Haftet dieser Ausbildung nicht auch wieder ein Stigma an, welches eine normale Integration in den Arbeitsprozess verhindert oder verunmöglicht?

Politische Lösungen müssen greifen

Es braucht ein Bewusstsein, dass sich Politik und Wirtschaft nicht bloss auf die erfolgreichen Mitarbeitenden konzentrieren, sondern eine soziale Verantwortung zu tragen haben. Eine Gesellschaft ist ein Gefüge, das aus stärkeren und schwächeren Menschen besteht und in einem ausgewogenen Zusammenspiel funktionieren sollte. Je besser Leute integriert werden, umso reibungsvoller funktioniert die Arbeitswelt und das Zusammenleben. Es braucht Lösungen, die langfristig greifen, um allen Jugendlichen einen gelungenen Berufseinstieg zu ermöglichen.
 

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