Entwicklung & Gesundheit

Autonomiephase: Kinder in der Trotzphase besser verstehen

Steckt Ihr Kind mitten in der Autonomiephase? Oder fürchten Sie sich vor der berüchtigten Trotzphase? Erfahren Sie, welche Entwicklung Kinder in dieser Zeit durchleben und erhalten Sie Tipps, wie Sie Ihr Kind dabei unterstützen können.
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Ein Kleinkind entdeckt Mamis Schminke.

Im Alter von etwa 18 Monaten bis zwei Jahren beginnen Kleinkinder, sich als eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass sie sich nun im Spiegel selbst erkennen. Mit der Zeit wird das Kind auch anfangen, von sich in der ersten Person zu sprechen.

Viele Eltern bemerken nun verstärkt, dass ihr Kind einen eigenen Willen zeigt. Es weiss genau, was es möchte und lässt sich nicht mehr so einfach mit etwas anderem ablenken. Jedoch vermag es noch nicht die Perspektive zu wechseln. Es versteht noch nicht, dass andere Menschen andere Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle haben. Noch glaubt es, dass alle die Welt so sehen, wie es das selbst tut.

Autonomiephase oder Trotzphase

Die zunehmende Selbstwahrnehmung führt dazu, dass Kinder nun immer mehr selber machen möchten. Sie beginnen, sich von den Eltern abzulösen und verspüren den Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung. Deswegen bezeichnen Fachpersonen diesen Entwicklungsschritt als Autonomiephase. Umgangssprachlich wird noch oft von der Trotzphase gesprochen.

Denn in ihrem Wunsch nach Autonomie stossen Kleinkinder immer wieder an Grenzen. Manches gelingt dem Kind noch nicht so, wie es dies möchte. Anderes darf es noch nicht, weil es seine Eltern oder die Umstände nicht erlauben. Und oft möchte es etwas nicht, was es aber muss. Eine schwierige Situation für die Kleinen, was sich in einer geballten Ladung an Gefühlen entladen kann. So scheinen denn Trotzanfälle auch nur auf den ersten Blick ohne Grund zu erfolgen. Mit etwas Abstand betrachtet, sind sie das in der Regel nicht.

Wie der eine oder andere Trotzanfall vielleicht verhindert werden kann:

  • Trotzanfälle können vermehrt vorkommen, wenn Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, also wenn Kinder Hunger und Durst haben oder müde sind. Versuchen Sie daher, darauf zu achten, dass die Grundbedürfnisse erfüllt sind.
  • Viele Möglichkeiten können überfordern. Geben Sie Kindern lieber nur zwei oder drei Optionen zur Auswahl.
  • Verbote können starke Emotionen auslösen. Können Sie stattdessen eine Alternative aufzeigen?
  • Kinder brauchen klare Grenzen. Doch ist es sinnvoller, wenige klare Familienregeln zu haben statt viele Einschränkungen.
  • Künden Sie Übergänge an und planen Sie genügend Zeit ein, beispielsweise fürs Anziehen.
  • Schaffen Sie eine kinderfreundliche Umgebung. Platzieren Sie Gegenstände, welche das Kleinkind nicht haben darf, ausser Reichweite und sichern Sie mögliche Gefahrenquellen ab.
  • Kinder müssen Fehler machen dürfen. Sagen Sie deshalb nicht immer im Vorhinein «nein». Ausser natürlich, wenn die Sicherheit des Kindes oder anderer gefährdet ist.
  • Versuchen Sie, schwierige Situationen aufgrund früherer Erfahrungen vorauszusehen. Möglicherweise können Sie diese umgehen, indem Sie das Kind ablenken oder Sie rechnen extra viel Zeit ein, um das Kind zu begleiten.
  • Noch mehr wertvolle Tipps erfahren Sie in unserer Broschüre «Trotzalter». Hier bestellen

Mit den Elternbriefen durch die Autonomiephase

Wir möchten Sie dabei unterstützen, herausfordernde Situationen wie Trotzanfälle leichter zu meistern. Darum begleiten wir Sie mit unseren Elternbriefen bis ins sechste Lebensjahr Ihres Kindes. In unserem Ratgeber erfahren Sie, was Ihr Kind erlebt, wie es sich entwickelt und Sie erhalten Tipps für den Familienalltag. Gratis in vielen Gemeinden! Mehr erfahren

 

Trotz als Ausdruck schwieriger Gefühle

Wenn Kleinkinder an ihre eigenen oder fremdbestimmte Grenzen stossen, macht sie das oft wütend oder lässt sie verzweifeln. Sie können ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse noch nicht aufschieben. Das müssen sie wie die Impulskontrolle erst noch lernen. Ebenso müssen sie noch lernen auszuhalten, wenn etwas nicht möglich ist.

Bis das Kind aber von seiner Entwicklung her so weit ist, müssen die Gefühle raus. Der Frust über das eigene Unvermögen oder die Wut aufgrund von Grenzen kann sich dann durch Trotz entladen. Das Kind tobt, schreit, wälzt sich auf dem Boden oder wird aggressiv. Anders ist es dem Kind oft noch nicht möglich, sich auszudrücken. Es kann seine Gefühle noch nicht in Worte fassen. Erst mit zunehmender Entwicklung wird es lernen, sich anders Gehör zu verschaffen.

Podcast «Familienbande»

Trotzanfall! Was nun?

«Unser Kind schreit, wälzt sich am Boden, schlägt um sich, kurz, es trotzt. Was sollen wir als Eltern tun?»

Trotzanfall! Was nun?
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Trotzanfall des Kleinkindes begleiten

Die Eltern können dem wütenden Kleinkind helfen, mit seinen Gefühlen umzugehen. Dies, indem sie ihm Sicherheit geben sowie Schutz und Trost anbieten. Je nachdem möchte das Kind vielleicht in den Arm genommen werden. Andere brauchen zwar die emotionale Nähe der Mutter oder des Vaters, aber mit körperlichem Abstand.

Keinesfalls sollte das Kind für sein Verhalten bestraft werden. 

Oft ist es schwierig, an das Kind heranzukommen, wenn es sich mitten in einem Trotzanfall befindet. Dann hilft nur Aushalten und zur Verfügung stehen. Wenn das Kind beginnt, sich zu beruhigen, können die Eltern ihm helfen, in Worte zu fassen, was es selbst noch nicht ausdrücken kann. Beispielsweise folgendermassen: «Ich sehe, du möchtest dein Pyjama alleine anziehen. Das gelingt dir nicht. Darum bist du wütend.» Damit zeigen die Eltern dem Kind, dass sie es in seiner Not sehen.

Keinesfalls sollte das Kind für sein Verhalten bestraft werden. Vielmehr ist wichtig, zu zeigen, dass alle Gefühle willkommen, jedoch gewisse Handlungen wie schlagen oder etwas zerstören nicht akzeptabel sind.

Fragen und Antworten aus der Elternberatung frühe Kindheit

Mein Sohn (18 Monate) schreit, wenn er etwas nicht bekommt. Ich gebe oft nach. Doch das möchte ich nicht. Was kann ich machen?

Ihr Sohn ist mitten in seiner Gefühlsentwicklung. Sie können ihm helfen, Strategien zu finden, wie er mit Frust oder Wut umgehen kann. In dem Moment, wo die Wut da ist, weil er etwas nicht darf, steht seine Welt auf dem Kopf. Während eines Wutanfalls empfiehlt es sich, nicht auf ihn einzureden. Das macht Kinder noch wütender. Nehmen Sie ihn in seiner Wut wahr und begleiten Sie ihn. Benennen Sie das Gefühl, aber bewerten Sie es nicht. Sie können zum Beispiel sagen: Ich kann verstehen, dass du jetzt wütend bist, aber es bleibt bei einem Nein. Bleiben Sie bei Ihrem Kind und seien Sie präsent, aber konsequent. Beobachten Sie, was es in dem Moment braucht. Ist das Körpernähe, um sich zu beruhigen oder braucht es Ihre Anwesenheit ohne Nähe?

Unsere Tochter (2 Jahre) ist bei Treffen mit Gleichaltrigen sehr schüchtern. Nach einiger Zeit beginnt sie aber, die Kinder zu plagen. Wieso macht sie das?

Manchen Kindern wird es mit anderen Kindern schnell zu viel. Vielleicht hilft es Ihrer Tochter, wenn Sie nur kurze Treffen machen. Am besten begegnen sie andere Kinder draussen und bleiben in der Nähe Ihrer Tochter, wenn sie auf andere Kinder zugeht. Sie braucht Ihre Sicherheit. Denn gleichaltrige Kinder zeigen oft selbst noch ein unsicheres Verhalten und können Ihrer Tochter keine Sicherheit geben. Geht es vielleicht mit älteren Kindern besser? Haben Sie eine Freundin, mit der Sie sich gut verstehen und wo Ihre Tochter den Kontakt mit anderen Kindern üben könnte? Sie könnten ab und zu abmachen, nur für kurze Zeit. Wenn Ihre Tochter beginnt, andere Kinder zu stören oder Spielsachen herumzuwerfen, verabschieden Sie sich freundlich bis zum nächsten Mal.

Mein Kind (3.5 Jahre) hat oft abends Wutanfälle. Meistens, wenn etwas nicht klappt. Es wirft dann Dinge herum. Wie kann ich mit seinem Frust umgehen?

Meistens können Kinder gut damit umgehen, wenn man Alternativen anbietet und versucht, herauszufinden, warum es zu einer solchen Krise gekommen ist. Hunger oder Müdigkeit sind oftmals ein Auslöser. Kinder benötigen Begleitung, um zu lernen, wie sie sich beruhigen können. Erst mit der Zeit entwickeln sie ihre eigenen Strategien, um Frust und andere starke Gefühle ohne Hilfe von aussen aushalten zu können. Schauen Sie mit Ihrem Kind, was ihm hilft, sich zu beruhigen. Vielleicht kann es ein Kissen werfen, statt eines zerbrechlichen Gegenstandes. Oder es braucht eine Pause in seinem Zimmer. Manchmal gibt es aber auch Situationen, die man zusammen aushalten muss, ohne dass Sie die Situation für Ihr Kind ändern können oder ändern müssen.

Haben auch Sie Fragen? Kontaktieren Sie unsere Beraterinnen und Berater der Elternberatung frühe Kindheit.

Umgang mit den eigenen Gefühlen

Auch für Eltern ist es eine schwierige Situation, wenn ihr Kind trotzt. Viele verspüren in solchen Situationen ebenfalls Anspannung oder werden wütend auf das Kind. Trotzdem sollten Eltern versuchen, ruhig zu bleiben. 

Dabei helfen kann, tief durchzuatmen oder, falls es nicht anders geht, sich kurz Distanz zu verschaffen, etwas zu trinken, um nachher gefasster auf die Emotionen des Kindes eingehen zu können. Vielleicht kann auch der andere Elternteil einspringen und den Trotzanfall begleiten. Ebenso lohnt es sich, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass das Kind nicht trotzt, um die Eltern zu ärgern. Es kann sich in dem Moment nicht anders verhalten.

Es gibt viele Situationen, in denen es Eltern schwerfallt, verständnisvoll auf einen Trotzanfall zu reagieren. Etwa, wenn man selber schon erschöpft oder emotional geladen ist. Oder auch, wenn dies im öffentlichen Raum geschieht, mit Zuschauern, vielleicht sogar noch solchen, die sich einmischen. Doch hat es nichts mit schlechter Erziehung zu tun, wenn das Kind trotzt. Es ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, bei dem die Kinder auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen sind.

Zu guter Letzt: Betrachten Sie das Trotzen positiv

Ja, es ist anstrengend und mühsam, wenn Kinder trotzen. Doch gibt es durchaus positive Seiten: kleine Kinder rebellieren nur gegen Personen, bei denen sie sich sicher fühlen. Trotzen die Kinder, zeugt das von einer guten Bindung zwischen den Eltern und dem Kind. Und falls das nicht Grund genug ist, zu feiern: Der Drang nach Autonomie ist auch ein Zeichen dafür, dass das Kind Selbstbewusstsein entwickelt. Es ist von seinen Ideen überzeugt und hat einen eigenen Willen. Etwas, das sich im Grunde alle Eltern für ihr Kind wünschen.

Zudem wird die Autonomiephase wie jede Phase vorbeigehen. Nach dem vierten Lebensjahr nehmen die Trotzphasen in der Regel ab. Die Kinder vermögen sich dann anders auszudrücken und müssen dies nicht mehr durch Trotzen tun. Zwar können auch später in der Kindheit noch Trotzphasen vorkommen, wenn Kinder an ihre Grenzen stossen. Doch sind diese tendenziell seltener. Und die Gelassenheit, welche die Eltern in der Autonomiephase erlernen, hilft ihnen möglicherweise auch durch weitere schwierige Phasen wie der bald einsetzenden Wackelzahnpubertät oder der Pubertät.

Tipps für Eltern

  • Nehmen Sie das Trotzen nicht persönlich. Es ist nicht gegen Sie oder Ihre Erziehung gerichtet.
  • Vermitteln Sie dem Kind immer wieder und besonders nach einem Wutanfall, dass das Kind okay ist, wie es ist und Sie es bedingungslos lieben.
  • Ermöglichen Sie dem Alter entsprechende Erfolgserlebnisse. So erfährt das Kind Selbstwirksamkeit.
  • Weitere Tipps und Anregungen zur Autonomiephase erhalten Sie in unserem Extrabrief zum Trotzalter.
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