Entwicklung & Gesundheit

Das Baby entwickelt seinen eigenen Willen

Im ersten Jahr beginnt das Kind immer mehr, seinen eigenen Willen kundzutun. Dabei merkt es, wie Erwachsene auf sein Nein oder seine abwehrende Haltung reagieren. Zugleich macht es auch die Erfahrung, dass Nichtwollen nicht immer nützt. Tipps, um mit der neuen Willensstärke eines Einjährigen umzugehen.
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Weinendes Mädchen klammert sich an Bein von Elternteil.

Gestern hat das Kleinkind strahlend nach dem Apfelstück gegriffen und heute schiebt es das Apfelstück energisch beiseite. Zwei Minuten später will es den Apfel doch essen. Das einjährige Kind hat eine wichtige Entdeckung gemacht: Es kann etwas ablehnen. Viel wichtiger als der Apfel ist die Erkenntnis, selber etwas bewirken zu können. 

Eigene Bedürfnisse wahrnehmen

Mit dieser Willenserklärung hat eine wichtige Phase in der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes begonnen. Für Ihr Kind ist es nicht immer einfach, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Sich durchzusetzen und abzugrenzen ist schwierig und kann wütend machen. Auch für Eltern ist es nicht einfach, das Kind verständnisvoll zu begleiten, wenn es seinen eigenen Willen entwickelt. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die für die Persönlichkeit Ihres Kindes wichtig ist. 

Tipps für einen verständnisvollen Umgang mit einem Kleinkind

Verhalten beobachten

Es lohnt sich, wenn Sie genau beobachten, wie Ihre Tochter oder Ihr Sohn Abneigung, Widerstand, Unbehagen, Zorn oder eine Meinung ausdrückt. Achten Sie darauf, auf welche Art Ihr Kind zum Beispiel «Nein» sagt. Wenn es noch keine Worte gebraucht, ändert sich vielleicht sein Gesichtsausdruck. Oder es zeigt seine Ablehnung durch Wegschieben oder Wegwerfen, durch Kopfschütteln oder durch Abwenden des Kopfes.

Grenzen fordern den Eigensinn heraus

Oft stösst das Kind mit seinem Handeln an Grenzen, die seinen frisch erwachten Eigensinn herausfordern. Soeben hat es die Fernbedienung der Stereoanlage erwischt und kann nur schwer akzeptieren, dass dies kein Spielzeug ist. Je nach Temperament reagiert es mit Vehemenz auf solche Einschränkungen. 

Bleiben Sie gelassen und verständnisvoll, denn aus Sicht Ihres Kindes ist es mühsam, wenn Sie nicht sofort merken, was es genau will. Nicht immer reichen Ihre Beobachtungen aus, um die Kindersprache zu verstehen. Mit solchen Situationen umzugehen, ist für beide Seiten schwierig.

Ich will nicht!

Beim Wickeln und An- oder Ausziehen hält Ihr Kind wahrscheinlich nicht mehr gern still. Es wehrt sich, will davonkrabbeln oder fuchtelt ärgerlich mit Armen und Beinen. Es beginnt, sich zu behaupten und bringt klar zum Ausdruck, was es nicht will. Diese neue Fähigkeit verändert die Alltagsroutine. 

Eingespielte Rituale wie Wickeln, Baden, An- und Ausziehen oder Essen müssen Sie nun mit Hilfe Ihrer Fantasie und Flexibilität sowie einer grossen Portion Geduld, Fingerspitzengefühl und Humor neu gestalten.
 

In alltägliche Handlungen einbeziehen

Manche Kinder reagieren ärgerlich, wenn sie in etwas vertieft sind und herausgerissen werden. Ist Ihr Kind gerade ins Spiel eingetaucht, ist es besser, wenn Sie noch etwas warten, bevor Sie ihm beispielsweise das Gesicht abwischen. Oder lenken Sie Ihren kleinen Wildfang mit einem Vers, einem Lied oder einem interessanten Spielzeug ab, damit das An- und Ausziehen, Wickeln oder Haarewaschen einfacher wird. Beziehen Sie Ihr Kind in alltägliche Handlungen ein.

Grenzen fordern heraus

Manche Willensäusserungen fordern nicht nur Eltern heraus, sondern bringen auch das Kind wiederholt an seine Grenzen. Manchmal möchte es schon mehr können, als seine Kräfte ihm erlauben. So lässt sich der Tisch einfach nicht wegschieben und auch heftiges Zerren nützt nichts. Oder die Schachtel ist so fest verschlossen, dass sie sich einfach nicht öffnen lässt, obwohl das gestern noch geklappt hat. 

Dieses Unvermögen kann Wutausbrüche auslösen, die heftig auftreten und langsam abklingen müssen. Man kann sie nicht einfach stoppen und schon gar nicht durch Strafen. Im Gegenteil: Durch Schimpfen steigert sich die Wut Ihres Kindes unter Umständen nur noch. Bleiben Sie ruhig und lassen Sie Ihrem Kind Zeit, damit es sich beruhigen kann.
 

Umgang mit Enttäuschungen

Nicht alle Hindernisse lassen sich aus dem Weg räumen. Das ist auch gut so, denn der Umgang mit Enttäuschungen oder eigenen Grenzen muss, wie alles andere, gelernt werden. Jedes Kind macht die Erfahrung, dass Eltern oder andere Erwachsene ihm etwas versagen, auch wenn seine Willensäusserungen ernst genommen werden. Denn es gibt Situationen, die ein klares Nein erfordern. 

Ihr Kind muss wissen, dass beispielsweise die Schalter des Kochherdes nicht zum Spielen da sind. Sollte es doch daran hantieren, nehmen Sie Ihr Kind ohne grosse Worte vom Herd wegnehmen. Erklären Sie ihm nachher, warum Sie das getan haben und dass es sich wehtun könnte. Obwohl Ihr Kind den Sinn dieser Erklärung noch nicht versteht, bekommt es Ihre emotionale Verfassung mit. Lenken Sie die Aufmerksamkeit Ihres Kindes auf etwas anderes lenken und vermeiden Sie so unnötige Machtkämpfe.
 

Zeit, sich zu beruhigen

Manchmal steigern sich Kleinkinder in etwas hinein. Falls Sie mit Ihrem Handeln einen Wutanfall provoziert haben, geben Sie Ihrem Kind nachher Zeit, um sich zu beruhigen. Vielleicht benötigt es nach einem grösseren Protest Ihre Nähe und möchte sich von Ihnen trösten lassen. Ihr Kind kann noch nicht nachvollziehen, warum es etwas nicht darf. 

Indem Sie es immer wieder auf Verbote hinweisen, lernt Ihre Tochter oder Ihr Sohn die hauseigenen Spielregeln kennen und einzuhalten. Dieser Prozess gelingt nicht von heute auf morgen und verlangt von Ihnen Einfühlungsvermögen, Geduld und gute Nerven. Wichtig ist auch, dass Sie festlegen, wo und wann Sie Ihrem Kind Grenzen setzen und wo es Raum zum Experimentieren und Entdecken bekommt. 
 

Schlagen ist kein Erziehungsmittel

Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Kind fordere Sie so sehr heraus, dass Sie ihm am liebsten einen Klaps auf den Hintern geben würden, müssen Sie Abstand nehmen. Um selber zur Ruhe zu kommen, ziehen Sie sich zum Beispiel in ein anderes Zimmer zurück. So können Sie sich nochmals verinnerlichen, dass das Kind Sie nicht absichtlich provoziert, sondern einfach noch zu klein ist, um Verbote zu verstehen und konsequent zu befolgen. Es würde nicht begreifen, wenn es bestraft wird. Schlagen ist kein Erziehungsmittel. Es macht Kinder nur traurig, enttäuscht, mutlos und verängstigt.

Sollten Sie öfter an Ihre Grenze stossen, ist es nötig, dass Sie sich entlasten und mit einer vertrauten Person oder einer Fachperson, zum Beispiel aus der Pro Juventute Elternberatung, darüber sprechen.

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Ratgeber Elternbriefe

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Elternbrief 13 «Ihr Kind ist ein Jahr alt». 

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