Entwicklung & Gesundheit

Mein Kind verletzt sich selbst

Verletzen sich Kinder oder Jugendliche selbst, ist der Schock bei den Eltern meist gross. Ritzen kann ein Ventil für Emotionen sein, die anders nicht ausgedrückt werden können. Erfahren Sie, wie Sie Ihr Kind im Umgang mit seinen Gefühlen unterstützen können.
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Borderlinestörung bei Jugendlichen

Anjas Leben fühlt sich an wie eine Achterbahnfahrt. Sie lebt in einer extremen Gefühlswelt. «Jeder Tag ist ein Kampf mit mir selbst.» Weil sie nicht weiss, wohin mit den starken Gefühlen, beginnt sie, sich selbst zu hassen, raucht viel und verletzt sich selbst.  Zwischenmenschliche Beziehungen aufrecht zu halten, fällt ihr schwer: «Ich glaube, niemand mag mich. Ich werde allein sein.» 

Die Angst, verlassen zu werden, ist Anjas ständige Begleiterin. Im TikTok-Video beschreibt sie, wie ihre Odyssee im Alter von 15 Jahren beginnt und wie sie sich mit 18 Jahren wegen Suizidgedanken selbst in eine Klinik einweist. Die Achterbahnfahrt ist längst nicht gestoppt, doch etwas langsamer und kontrollierbarer geworden.

@147.ch Heute teilt Anja ihre Erfahrungen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung mit uns und erzählt, wie sie sich gefühlt hat und wie sie sich Hilfe suchte. #schweiz @zeta.movement ♬ Sara - wethree

Selbstverletzendes Verhalten

In der Klinik erhält Anja die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung. Betroffene reagieren oftmals impulsiv und schädigen sich selbst. Sie verletzen sich, konsumieren Substanzen oder bringen sich durch riskantes Verhalten in Gefahr. Denn sie wissen nicht, wie sie mit ihren extremen Emotionen anders umgehen können. Viele sind wie Anja suizidgefährdet oder haben einen Suizidversuch hinter sich.

Was die Störung verursacht, ist unklar. Man geht davon aus, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen, ebenso aber das soziale Umfeld. Vielfach werden emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen wie Borderline durch traumatische Ereignisse ausgelöst. Das kann ein sexueller Missbrauch sein, Vernachlässigung oder psychische Gewalt. Die Traumata führen dazu, dass Betroffene Mühe haben, ihre Emotionen zu regulieren und anderen Menschen zu vertrauen. In einer Therapie können sie lernen, mit ihren Gefühle umzugehen und besser im Leben zurechtzukommen. 

Starke Stimmungsschwankungen

Auch für das Umfeld ist die Situation belastend. Einerseits kommen oft Schuldgefühle auf. Andererseits ist das Verhalten von Kindern und Jugendlichen mit einer Borderline-Störung für Eltern und Bezugspersonen oft schwer nachvollziehbar. Im einen Moment werden sie idealisiert und ersticken fast an Nähe, im nächsten abgewertet und zum Teufel geschickt. 

Angehörige können eine wichtige Stütze sein, indem sie Gefühle benennen, den Spiegel vorhalten und helfen, Emotionen zu regulieren.

Angehörige müssen ausgeprägte Stimmungsschwankungen aushalten. Darüber hinaus können sie eine wichtige Stütze sein, indem sie Gefühle benennen, den Spiegel vorhalten und helfen, Emotionen zu regulieren. Mit Verständnis und Einfühlungsvermögen können Eltern zeigen, dass sie für ihre Tochter oder ihren Sohn da sind, egal was ist.

Hilfe bei einer Borderline-Störung

Kinder und Jugendliche mit einer Borderline-Störung brauchen professionelle Hilfe. Eltern können sie dabei unterstützen, Hilfe zu holen. Oftmals werden Angehörige auch in die Therapie einbezogen. Sie können den Betroffenen über die Therapie hinaus bei der Emotionsregulation unterstützend zur Seite stehen. So auch bei Anja: «Mir hat es geholfen, wenn mich jemand zurück in die Realität geholt hat und mir Wege aufgezeigt hat, wie sich Dinge ändern könnten. Denn oft steckte ich in meiner eigenen Welt fest. In dieser gab es nur eine Möglichkeit der Entwicklung. Ich habe mich absolut hilflos gefühlt.»

Angehörige dürfen sich aber auch eingestehen, wenn sie mit der Krankheit überfordert sind und selbst Unterstützung benötigen. Die Pro Juventute Elternberatung ist als Erstanlaufstelle rund um die Uhr kostenlos für Eltern und Bezugspersonen da. Weitere Informationen zur Borderline-Persönlichkeitsstörung erhalten Sie bei der Organisation Pro Mente Sana

Tipps für Eltern

  • Unterstützen: Seien Sie für Ihre Tochter oder Ihren Sohn da. Bieten Sie Ihre Unterstützung aktiv an.
  • Wunden pflegen: Versorgen Sie unaufgeregt allfällige Wunden. Zeigen Sie Verständnis, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter sich im Moment nicht anders auszudrücken weiss.
  • Lösungen suchen: Sprechen Sie die Selbstverletzung vorsichtig an. Ermutigen Sie Ihr Kind, nach anderen Lösungswegen für die Emotionsregulation zu suchen.
  • Ruhig bleiben: Machen Sie keine Vorwürfe. Kinder und Jugendliche mit einer Borderline-Störung schämen sich im Nachhinein oft für ihr selbstverletzendes Verhalten. Bleiben Sie ruhig und einfühlsam.
  • In der Not helfen: Versuchen Sie, nicht in Panik zu verfallen, wenn Suizidgedanken auftauchen. Betroffenen kann es helfen, wenn sie darüber sprechen können, ohne Angst haben zu müssen, gleich in die Klinik eingewiesen zu werden. Scheuen Sie aber auch nicht davor zurück, für Ihr Kind und sich selbst fachliche Hilfe zu holen. 

Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit ZETA Movement entstanden.  ZETA Movement ist ein Projekt von jungen Erwachsenen für Jugendliche, das darauf abzielt, den Kreislauf der Stigmatisierung und des Schweigens im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen in der Schweiz zu durchbrechen. ZETA Movement Ambassadors sind junge Menschen, die selbst an psychischen Erschütterungen leiden oder gelitten haben und sich nun in einem fortgeschrittenen Stadium der Genesung befinden. Sie berichten Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren in Besuchen an Schulen oder in Jugendorganisationen von ihren eigenen Erfahrungen, um mit ihnen einen ehrlichen und gleichberechtigten Dialog über das Thema psychische Gesundheit zu führen.

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