Entwicklung & Gesundheit

Wie äussert sich eine postnatale Depression?

Nicht immer ist die Ankunft eines Kindes nur mit Glücksgefühlen verbunden. Bei manchen Müttern löst diese neue Lebenssituation eine Depression aus. Wichtig ist, dass diese Krankheit erkannt und behandelt wird. Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit postnataler Depression.
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Wie äussert sich eine postnatale Depression?

Diesen Text gibt es auch in Leichter Sprache.

Autorin: Andrea Borzatta
Co-Präsidentin des Vereins Postnatale Depression Schweiz

In einem Gespräch erzählt sie, wie die Geburt beider Kinder sie in eine schwere Krise stürzte.

«Die Geburt meines ersten Sohnes verlief alles andere als gewünscht», erzählt Andrea Borzatta. Aufgrund starker Kopf- und Bauchschmerzen musste sie ins Spital und 24 Stunden später wurde ihr Sohn wegen einer Schwangerschaftsvergiftung per Notkaiserschnitt geholt. «Es hiess, wir wären sonst beide gestorben. Ich war wie in einem falschen Film. Mein Sohn kam direkt auf die Intensivstation im Kinderspital und selber verbrachte ich ebenfalls drei Tage auf der Intensivstation.» Als die Mutter ihren Sohn das erste Mal sieht, liegt er da, winzig klein und voller Kabel.

Ein Baby und ein Alltag voller Sorgen

Im Rückblick schildert Andrea Borzatta ihre Gefühle: «Meine Liebe zu meinem Sohn war sofort unendlich gross. Noch grösser war jedoch die Angst und Sorge um ihn. Als wir nach zwei Wochen nach Hause durften, war der Alltag geprägt durch Wiegen, Abpumpen, Schöppelen. Zum Durchatmen blieb kaum Zeit. Die Angst, mein Kind könnte nicht richtig gedeihen oder einfach im Schlaf aufhören zu atmen, sass mir konstant im Nacken und überschattete alles. Ich erinnere mich nicht an einen einzigen Moment mit meinem Baby, in dem ich einfach glücklich und zufrieden war. Ich hatte Mühe, mit ihm alleine zu sein, dachte ich wäre eine schlechte Mutter, weil ich es nicht schaffe, für ihn zu sorgen.»

Überforderung und Ängste statt Mutterglück

Gemäss Bundesamt für Statistik wurden im Jahr 2017 in der Schweiz 84'959 Kinder geboren. Rund 15 Prozent der Frauen, das sind knapp 13'000 pro Jahr, stürzt dieses sogenannt freudige Ereignis in eine Krise: Sie erleiden eine postnatale (postpartale) Depression oder gar eine Psychose. Die meisten Betroffenen leiden still. Unter dem Druck des Umfelds, dass man doch glücklich sein muss, schämen sie sich ihrer Gefühle und wissen nicht, dass sie an einer behandelbaren Krankheit leiden. Dadurch wird ihr Leiden unnötig verlängert.

Ich hatte Mühe, mit ihm alleine zu sein, dachte ich wäre eine schlechte Mutter, weil ich es nicht schaffe, für ihn zu sorgen.

Das Trauma wiederholt sich

Die ersten Wochen nach der Geburt des zweiten Sohnes verliefen für Andrea Borzatta relativ entspannt. Als der zweite Sohn nicht mehr trinken wollte, kam das unverarbeitete Trauma der ersten Geburt wieder hoch. «Im Nachhinein weiss ich, dass ein harmloser Infekt die Ursache war, aber damals überkam mich eine grosse Angst, die mich wie eine Lawine überrollte.» Der Teufelskreis begann sich erneut zu drehen, beschreibt sie ihre Gefühle. «In dieser Zeit war ich nicht mehr in der Lage, die Zeichen meines Sohnes richtig zu deuten.» Heute engagiert sich Andrea Borzatta als Co-Präsidentin im Verein Postnatale Depression Schweiz. Ihre eigenen Erfahrungen möchte sie weitergeben und auf diese Weise anderen Betroffenen helfen.

Ängste überwinden lernen

«Auch nach dem Klinikaufenthalt war der Weg mühsam. Ich musste versuchen, mein angstgeprägtes Verhalten zu ändern und das war harte Arbeit. Mit der Zeit gelang es mir immer besser, auf die Signale meines Kindes zu achten und entsprechend zu reagieren.» Geholfen hat der Mutter die Theorie der «Achtsamkeit». Ganz bewusst lernte sie auf den Moment zu achten und das Verhalten des Kindes zu interpretieren. «Wenn er nicht essen wollte, überlegte ich mir, ob er wirklich sogleich sterben würde, wenn er nichts zu sich nimmt. So merkte ich, dass das dies – entgegen meiner irrationalen Gedanken – nicht der Fall ist.»

Mit der Krankheit umgehen lernen

Inzwischen sind die Söhne von Andrea Borzatta vier und sieben Jahre alt und ihr ganzer Stolz. Beide haben sehr unterschiedliche Charaktere, doch zu beiden hat die Mutter ein sehr inniges Verhältnis. Dass der Umgang mit dieser Krankheit ein langer Prozess ist, widerspiegeln diese Aussagen: «Noch heute habe ich manchmal Mühe, alleine mit meinen Kindern zu sein. Wahrscheinlich auch, weil ich das in den Anfangszeiten oft zu vermeiden versuchte. Ich übe, nicht zu streng mit mir zu sein, ich übe, die Zeit mit meinen Kindern bewusster zu geniessen und ich akzeptiere die Krankheit als Teil unserer Familiengeschichte. Mittlerweile denke ich sogar, dass die Krankheit mich und die Beziehung zu meinen Kindern stärker gemacht hat.»

Babyblues und postnatale Depression sind nicht dasselbe

Zwischen 40 und 80 Prozent der Mütter leiden unter einem postnatalen Stimmungstief. Wenige Tage nach der Geburt treten diese «Heultage», auch «Babyblues» genannt, auf. Innerhalb von Stunden oder Tagen geht dieses Tief vorbei und eine Behandlung ist nicht nötig.

Symptome wie Traurigkeit und Weinen, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, Aggressivität, Verwirrtheit, Schlaf- und Appetitstörungen sind Reaktionen auf eine überwältigende Lebensveränderung, die mit der Ankunft eines Babys verbunden ist. Dieses vorübergehende Stimmungstief ist Teil eines Anpassungsprozesses an eine neue Lebensphase und die Symptome unterscheiden sich kaum von einer postnatalen Depression. Halten sie mehr als zwei Wochen an, besteht der Verdacht auf eine postnatale Depression. Ein stark ausgeprägtes postnatales Stimmungstief erhöht das Risiko, an einer postnatalen Depression zu erkranken. Oft ist der Übergang fliessend.

Glückliche Mutter als blosse Fassade

Für Angehörige und Betroffene ist eine Depression nicht leicht zu erkennen. Zudem kann sie auch erst Monate nach einer Entbindung auftreten. Aus Scham versuchen Betroffene oft so lange wie möglich die Fassade einer glücklichen Mutter aufrechtzuerhalten. Anzeichen wie Erschöpfung, innere Leere, Antriebslosigkeit, tiefe Traurigkeit, Appetit- und Schlafstörungen entwickeln sich meist schleichend.

Sechs Monate nach der Geburt des zweiten Kindes musste Andrea Borzatta in eine Klinik. Dort lernte sie ihre Ängste zu überwinden und zu akzeptieren, dass sie gemacht hatte, was für sie möglich gewesen war. Heute ist sie sich bewusst, dass sie damals krank war und Hilfe brauchte.

Tipps für Betroffene

  • Holen Sie sich rechtzeitig Hilfe bei Ihrem Partner, Ihrem Umfeld, wenn Sie spüren, dass Sie nach der Geburt Ihres Kindes überfordert sind. Versuchen Sie nicht aus Scham, die Fassade einer glücklichen Mutter aufrechtzuerhalten.
  • Nehmen Sie Anzeichen wie Erschöpfung, innere Leere, Antriebslosigkeit, tiefe Traurigkeit, Appetit- und Schlafstörungen ernst. Signalisieren Sie, dass es Ihnen schlecht geht und Sie kein Mutterglück verspüren.
  • Seien Sie aufmerksam gegenüber sich selbst und verbergen Sie Ihre Gefühle nicht. Eine postnatale Depression ist eine Krankheit, die sich behandeln lässt.
  • Wenn Sie das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, können Sie mit der Edinburgh-Postnatale-Depressions-Skala (EPDS) online eine erste Einschätzung Ihrer Situation vornehmen. Die Ergebnisse geben einen Hinweis, ob zur genaueren Abklärung eine Fachperson aufgesucht werden sollte.

Postnatal oder postpartal?

Der Begriff postnatal umschreibt die Zeit nach der Geburt, bezogen auf das Kind, postpartal hingegen bezieht sich auf die Mutter. Somit ist die medizinisch korrekte Bezeichnung Postpartale Depression. Da der Begriff postnatal jedoch noch viel geläufiger ist, verwenden wir ihn vielerorts trotzdem. So werden die entsprechenden Inhalte im Web besser gefunden, zum Beispiel bei Google. Denn noch wichtiger als die korrekte Bezeichnung ist uns, dass Hilfesuchende rasch Hilfe finden.

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