Familie & Gesellschaft

Ist Vorlesen überhaupt noch zeitgemäss?

Seit langer Zeit lesen Eltern ihren Kindern Geschichten vor. Doch ist Vorlesen im Zeitalter der Digitalisierung nicht allmählich überholt? Ein Einblick zeigt, welche Fähigkeiten beim Eintauchen in andere Welten geübt werden und weshalb Vorlesen nicht an Bedeutung verlieren darf.
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Vater liest seinen beiden Kindern aus dem Bilderbuch eine Geschichte vor.

Kinder lieben es, sich gemütlich einzurichten und einer Geschichte zu lauschen. Geraten die Figuren in eine abenteuerliche Situation, kuschelt man sich sogleich näher an die Eltern heran. Passiert etwas Lustiges, lacht man miteinander. Sobald das Kind in eine Geschichte eintaucht, ist es emotional beteiligt. Es nimmt Anteil, identifiziert sich mit einzelnen Figuren und fiebert entsprechend mit. Imaginäre Reisen beflügeln die Fantasie und schaffen durch die Vorlesesituation zugleich viel Nähe. 

Verschiedene Fähigkeiten üben

Vorlesen ist aber nicht nur für das Wohlbefinden wichtig. Beim Zuhören übt sich das Kind auch in Fähigkeiten, die ihm das Lesen und Schreiben erleichtern. Einer Handlung zu folgen, verlangt Konzentration und setzt voraus, dass das Kind Zusammenhänge erfassen kann. Mit einfachen und kurzen Texten wird diese Fähigkeit langsam aufgebaut. Oft kommen auch Begriffe vor, die dem Kind fremd sind und erklärt werden müssen. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen fällt Kindern, denen viel vorgelesen wurde, das Lesen und Schreiben leichter. 

Ein Baustein für die Bildung

Durch regelmässiges Vorlesen legen Eltern eine wichtige Grundlage für die Bildung ihres Kindes. Es lohnt sich also, sich dafür Zeit zu nehmen. Falls das Kind bereits ein bisschen lesen kann, schaut es beim Vorlesen vielleicht interessiert ins Buch und entdeckt zwischendurch bekannte Wörter. Und weil Geschichten oft bebildert sind, gibt es beim Betrachten viel zu entdecken. So ergeben sich zahlreiche Gelegenheiten, nachzufragen und das Kind zum Nachdenken anzuregen. 

Durch regelmässiges Vorlesen legen Eltern eine wichtige Grundlage für die Bildung ihres Kindes.

Früh mit Vorlesen beginnen

Viele Eltern fragen sich, wann sie mit Vorlesen beginnen sollen. Eine fixe Regel gibt es nicht, doch zu früh anfangen kann man nicht. Spätestens ab zwei Jahren können Kinder einer Handlung folgen. Ob Geschichten erst frei erzählt oder Texte gelesen werden, hängt mit dem Interesse und der Aufmerksamkeitsspanne des Kindes zusammen. Auch zwischen Mundart und Schriftsprache abzuwechseln ist reizvoll und möglich. Wie viel Vorlesen bewirkt, zeigt sich, wenn Erwachsene sich zurückerinnern. Vorlesesituationen aus der Kindheit werden oft als sehr prägend beschrieben. 

Bücher zum Anfassen

Obwohl eBooks an Bedeutung gewinnen, sind Printbücher in der Kinderwelt nach wie vor präsent. Schnell kombiniert das Kind, dass Bücher und Vorlesen zusammengehören. Oft nimmt es erwartungsvoll ein Buch aus dem Bücherregal. Doch nicht immer hat jemand Zeit vorzulesen. Dann freut sich das Kind, selbst darin zu blättern, Bilder zu betrachten und Details auf Zeichnungen zu entdecken. Das spricht dafür, herkömmliche Bilderbücher nicht einfach durch eBooks zu ersetzen, sondern zusätzlich zu nutzen. 

Hörbücher als Ergänzung

Auch mit Hörbüchern können Kinder in andere Welten eintauchen und verschiedene Kompetenzen aneignen. Das Kind übt sich ebenfalls im Zuhören. Womöglich braucht es gar eine grössere Konzentrationsfähigkeit, weil es nur eine Stimme hört, aber die Erzählerin oder den Erzähler nicht sieht. Allein oder zusammen mit Geschwistern oder Gspänli folgt das Kind einer Handlung und identifiziert sich mit Figuren. Erzählen regt die Fantasie an und erweitert das Vorstellungsvermögen. Oftmals beeinflussen Geschichten auch das Spiel. Trotz vielen Gemeinsamkeiten sollten Hörbücher Erzählsituationen nur ergänzen, jedoch nicht ersetzen.

Mit Fragen zum Denken anregen

Im Unterschied zum Hörbuch oder zum online Vorlesen kann das Kind bei der Erzählsituation zu Hause nachfragen, wenn etwas unklar ist. Oder die Person, die vorliest, stellt Fragen, um zu erkennen, ob das Kind weiss, worum es geht. Kann es erklären, was passiert ist und versteht es, weshalb die Hauptfigur so reagiert? Ein Austausch, der viel bewirkt und zum Verständnis beiträgt. 

Themen aus der Kinderwelt aufgreifen

Mit Geschichten können Eltern auch gezielt Themen aufgreifen, die beschäftigen. So merkt das Kind beispielsweise, dass es nicht allein ist mit seiner Angst vor dem Dunkeln und auch andere Kinder erst lernen, mutig zu sein. 

Tipps für Eltern

  • Eröffnen Sie Ihrem Kind Zugang zur Welt der Geschichten. Beim Vorlesen lernt das Kind zuzuhören und einem Handlungsbogen zu folgen. Zugleich erweitert sich der Wortschatz Ihres Kindes. So schaffen Sie eine wichtige Grundlage, um lesen und schreiben zu lernen.  
  • Wählen Sie Geschichten und Bilderbücher aus, die zu den Interessen Ihres Kindes passen. Beziehen Sie Ihr Kind in die Auswahl der Geschichte oder des Bilderbuches ein. 
  • Geben Sie Ihrem Kind Printbücher und betrachten Sie eBooks als Ergänzung.  
  • Machen Sie das Vorlesen zu einem Familienritual. Richten Sie es sich gemütlich ein und sorgen Sie dafür, dass diese gemeinsamen Momente zu Kostbarkeiten im Alltag werden. Und – geniessen Sie diese Zeit. 
  • Hören Sie selbst gerne Geschichten? Dann lauschen Sie zwischendurch gemeinsam mit Ihrem Kind einer Hörbuch-Erzählung. So entstehen ebenfalls innige Momente und anregende Austauschmomente. Tauschen Sie sich darüber aus, was besonders lustig, traurig oder abenteuerlich war. Oder fragen Sie nach, was Ihrem Kind am besten gefallen hat und weshalb.
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