Die Schweiz braucht einen wirkungsvolleren Jugendmedienschutz
Warum braucht es ein neues Gesetz?
Digitale Medien sind heute aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken und sind ein sehr wichtiger Teil ihrer Freizeitgestaltung. So können heute Filme aber auch Videospiele über verschiedenste Medienkanäle verbreitet und konsumiert werden. Diese Entwicklung stellt neue Herausforderungen an die Begleitung und den Schutz von Kindern.
Deshalb hat der Bundesrat im Mai 2015 einen umfassenden Bericht zum aktuellen Stand des Kinder- und Jugendmedienschutzes in der Schweiz mit einer Analyse des Handlungsbedarfs verabschiedet. Dieser Bericht zeigt, dass die heutige Jugendschutzregulierung hoch fragmentiert und uneinheitlich ist, da der Jugendschutz weitgehend in der Kompetenz der Kantone liegt. Das bedeutet, dass der Schutz von Minderjährigen vor unangemessenen Inhalten gesetzlich nicht gewährleistet ist. Es gibt zwar Brancheninitiativen, die Jugendschutzmassnahmen festlegen (z.B. die Pegi-Richtlinien für Videospiele), diese sind jedoch nicht für alle Marktteilnehmenden verbindlich und entsprechend liegen Vollzugsprobleme auf der Hand. Dazu kommen die Schwierigkeiten angesichts des globalen Kontextes des Internets und der Internationalität des Marktes[1]. Zur Behebung der Regulierunglücken hat der Bundesrat nun einen Vorentwurf des Bundesgesetzes über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele vorgelegt.
Was will das neue Gesetz?
Ziel des vorliegenden Entwurfs ist es, Minderjährige vor Inhalten in Filmen und Videospielen, die ihre körperliche, geistige, psychische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden könnte, zu schützen. Das neue Gesetz sieht vor, Regulierungslücken und -schwächen zu beheben und die bereits bestehenden Anstrengungen zur Selbstregulierung seitens der Video- und Filmbranche gesetzlich zu verankern und staatlich zu kontrollieren.
Neu sollen Veranstalterinnen von öffentlichen Anlässen, Anbieterinnen von Filmen und Videospielen auf audiovisuellen Trägermedien sowie von Abrufdiensten zu Alterskennzeichnungen und Alterskontrollen verpflichtet werden. Zudem sollen die Inhalte der Filme und Videospiele mittels Inhaltsdeskriptoren (Hinweis auf Inhalte, z.B. Sex, Drogen, Spiele, Gewalt) expliziert werden.
Die Umsetzung dieser Massnahmen geschieht im Rahmen einer Ko-Regulierung. Dies bedeutet, dass die Systeme zur Altersklassifizierung und die Regeln zur Alterskennzeichnung und zur Alterskontrolle von den Akteurinnen im Film- und Videospielebereich entwickelt werden. Dazu schliessen sich diese je zu einer Jugendschutzorganisation zusammen und erarbeiten eine Jugendschutzregelung. Diese kann vom Bundesrat für alle Akteurinnen für verbindlich erklärt werden. Die Jugendschutzregelungen müssen gewisse Mindestanforderungen erfüllen (einheitliches Klassifizierungssystem, Einrichtung einer Anlaufstelle für den Jugendschutz), die gesetzlich festgelegt werden.
Für den Bereich der Abruf- und Plattformdienste (z.B. Netflix, Youtube, Amazon) ist eine Abstimmung mit der Regulierung auf europäischer Ebene vorgesehen. Abrufdienste mit Sitz in der Schweiz sollen analog zur Regulierung der audiovisuellen Mediendienste auf EU-Ebene (AVMD-Richtlinie) zu Altersüberprüfsystemen sowie Systemen zur elterlichen Kontrolle verpflichtet werden. Plattformdienste haben ebenfalls mindestens ein System zur Alterskontrolle einzuführen. Zudem soll ein System, mit welchem Inhalte gemeldet werden können, die für Minderjährige nicht geeignet sind, entwickelt werden.
Pro Juventute ist mit der Stossrichtung des Vorentwurfs einverstanden, fordert aber nachfolgend ausgeführte Verbesserungen:
Fachlicher Beirat für die Erarbeitung von Jugendschutzregeln
Pro Juventute begrüsst die Massnahme der Ko-Regulierung, erachtet es für einen wirksamen Jugendschutz aber als unabdingbar, dass für die Erarbeitung und den Erlass der Jugendschutzregelung seitens der Akteurinnen aus dem Film- und den Videospielebereich ein fachlicher Beirat mit Interessensvertreter*innen aus den Kinder- und Jugendorganisationen der Schweiz eingesetzt wird.
Durch die fachliche Begleitung und die Interessensvertretung der Kernzielgruppe des Jugendschutzgesetzes wird die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der Jugendschutzregeln erhöht und die einseitige Interessensvertretung der jeweiligen Branche gemindert.
Anlaufstelle für den Jugendschutz in Zusammenarbeit mit Kinder- und Jugendorganisationen
Pro Juventute ist der Meinung, dass die Anlaufstelle für den Jugendschutz, die Beanstandungen und Anfragen in Bezug auf den Jugendschutz bei Filmen und Videospielen behandelt, eine wichtige Funktion inne hat. Aus der Perspektive der Prävention und Medienkompetenzförderung ist es jedoch sinnvoll, nicht nur Beanstandungen und Anfragen zum Jugendschutz zu behandeln, sondern die Personen bei Bedarf in Fragen rund um die Vermittlung und Förderung von Medienkompetenz zu beraten (Prävention). Hierfür wäre eine Triage an Organisationen, die bereits über die dafür notwendige Strukturen und Angebote verfügen, eine pragmatische Lösung.
Wirkungsvoller Jugendschutz durch Regulation und Prävention
Trotz den neuen gesetzlichen Grundlagen wird es nicht möglich sein, einen umfangreichen Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet mittels Alterskennzeichnung, Alterskontrolle und Inhaltsdeskriptoren zu erreichen. Dies vor allem deshalb, weil gesetzliche Auflagen für international verbreitete Plattform- und Abrufdienste für Filme und Videospiele (z.B. Youtube, Netflix, Amazon, ..) nur sehr bedingt durchsetzbar sein werden.
Weiter gehört es zur Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, im Internet Inhalte zu konsumieren, die nicht unbedingt für ihr jeweiliges Alter bestimmt sind. Dies zum Beispiel aufgrund von Neugierde, dem «Kick» etwas Verbotenes zu tun oder auch Gruppendruck.
Aufgrund dieser Ausgangslage, die auch im erläuternden Bericht zum Vorentwurf erkannt wird, ist es für Pro Juventute überraschend, dass dem Aspekt der Prävention im Rahmen des Gesetzesvorentwurf nicht mehr Rechnung getragen wird. Zwar bietet eine national einheitliche Alterskennzeichnung für Erziehungsberechtigte eine wichtige Orientierungshilfe und Alterskontrollen einen potentiellen Schutzmechanismus. Dies alleine genügt aber nicht, Eltern wie auch Kinder, zu einem kompetenten Umgang mit Chancen und Risiken im Internet zu befähigen. Unter Berücksichtigung Art. 67 der Bundesverfassung müsste die Prävention, also die Förderung von Medienkompetenz, deutlich mehr Gewicht bekommen. Deshalb fordert Pro Juventute, dass der Vorentwurf durch den Ansatz der Prävention ergänzt, das nationale Programm zur Förderung von Medienkompetenz ausgebaut und genügend öffentliche Mittel zur Entwicklung und Umsetzung von präventiven Angeboten zur Verfügung gestellt werden. Nur durch regulatorischen Schutz und einer starken Prävention ist ein wirkungsvoller Jugendschutz möglich.
18.06.2019,Simone Brunner, Abteilungsleiterin Bildung & Information
simone.brunner(at)projuventute.ch
[1] Vertiefte Analyse zur Situation findet sich im Erläuternden Bericht zum JSFVG auf Seite 18 ff. Der Bericht ist unter https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/56131.pdf abrufbar.
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