Frühjahressession 2021: Empfehlungen an den Nationalrat

In der Frühjahrssession berät der Nationalrat vier Geschäfte, die für die Förderung und den Schutz von Kindern und Jugendlichen von Bedeutung sind. Nachfolgend die Haltungen und Empfehlungen von Pro Juventute.
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Bundeshaus im Frühling
© Parlamentsdienste, Bern

Bundesgesetz: «Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele» (20.069)

Behandlung am 17. März

Das Gesetz ist ein wichtiger und nötiger Schritt, um Kinder und Jugendliche vor ungeeigneten Medieninhalten zu schützen. Der bundesrätliche Entwurf geht einige der Lücken an, in einzelnen Bereichen sind aus unserer Sicht aber zwingend noch Anpassungen nötig. Die entsprechenden Korrekturen hat die WBK-N vorgenommen. 

  • Pro Juventute empfiehlt, allen Mehrheitsanträgen der WBK-N zuzustimmen. 

Begründung

Das Gesetz ist ein wichtiger und nötiger Schritt, um Kinder und Jugendliche vor ungeeigneten Medieninhalten zu schützen. Ohne Stärkung der Prävention und Einbezug der Kinder- und Jugendorganisationen wird dies aber nicht gelingen. Pro Juventute setzt sich seit mehr als zehn Jahren für medienpädagogische Prävention ein. Entsprechend gross sind unsere Expertise und Erfahrung: Unsere Beraterinnen und Berater hören direkt von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern, wo es in Sachen Jugendmedienschutz hapert. Der bundesrätliche Entwurf geht einige der Lücken an, in einzelnen Bereichen sind aus unserer Sicht aber zwingend noch Anpassungen nötig. Die entsprechenden Korrekturen hat die WBK-N vorgenommen.

Insbesondere die folgenden Anträge tragen entscheidend dazu bei, den Jugendmedienschutz zu verbessern:

Art. 4: Gegenstand 

  • Neuer Buchstabe e): die Massnahmen zur Förderung der Medienkompetenz und Prävention
  • Neuer Artikel 27a: Massnahmen des Bundes zur Förderung der Medienkompetenz und Prävention

Dringend nötig ist die Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Es ist erfreulich, dass der Bundesrat die bisherigen Präventionsmassnahmen im Rahmen des nationalen Programms Jugend und Medien weiterführen will. Trotzdem fehlt weiterhin eine gesetzliche Grundlage zur Medienprävention und damit eine längerfristige Finanzierung von wirksamen Massnahmen.

Art. 10: Anforderungen an die Jugendschutzorganisationen

  • Änderung Buchstabe f) wie folgt: Expertinnen und Experten als ständige Mitglieder einbezieht, insbesondere für die Erarbeitung der Jugendschutzregelung

Der Bundesrat setzt auf die Selbstregulierung der Branche und damit auf die Übernahme von mehr Verantwortung durch die Film- und Videospielbranche. Wir begrüssen diese Initiative. Sie darf aber nicht dazu führen, dass die vereinbarten Regelungen zu einseitig die Interessen der Branche abbilden. Es ist deshalb zwingend, dass die Expertise der Kinder- und Jugendorganisationen und die Sicht der Kinder und Jugendlichen selbst eingebunden werden – und zwar ständig und nicht nur punktuell.

Art. 11: Allgemeine Anforderungen an die Jugendschutzregelungen

  • Neuer Buchstabe cbis: Regeln zum Umgang mit Mikrotransaktionen in Videospielen. Videospiele mit Mikrotransaktionen müssen mit einem entsprechenden Inhaltsdeskriptor gekennzeichnet werden. Zudem sind die Jugendschutzorganisationen verpflichtet, Informationen zu den Möglichkeiten der elterlichen Kontrolle und Einschränkung von Mikrotransaktionen zur Verfügung zu stellen.

Videospiele mit Mikrotransaktionen müssen mit einem entsprechenden Inhaltsdeskriptor gekennzeichnet werden. Damit Eltern und Erziehungsberechtigte ihre Verantwortung wahrnehmen können, sind sie zwingend auch darauf angewiesen, dass auf Mikrotransaktionen hingewiesen wird, etwa auch in Games versteckte Glücksspielelemente oder In-Game-Käufe. Je nach Ausgestaltung können diese gerade für Kinder und Jugendliche Risiken bergen.

  • Neuer Artikel 12a: Inhaltsdeskriptoren

Zurecht verweist der Bundesrat in seiner Botschaft auf die Verantwortung der Eltern und Erziehungsberechtigten. Damit diese ihre Verantwortung wahrnehmen können, sind sie auf eine Alterskennzeichnung und zwingend auch auf Inhaltsdeskriptoren angewiesen.

Postulat Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates «Stärkung der Nationalen Strategie Sucht durch den Einbezug der Cyberabhängigkeit» (20.4343)

Behandlung am 17. März

Pro Juventute begrüsst die Forderung, im Rahmen der Strategie Sucht stärker auf Cyberabhängigkeiten zu fokussieren. Zudem teilt Pro Juventute die Einschätzung, dass in diesem Bereich auch ein zusätzlicher Bedarf an Bildung und Prävention besteht.

  • Pro Juventute empfiehlt, das Postulat zu überweisen.  

Begründung

Im Rahmen der Debatte zum Bundesgesetz über Jugendmedienschutz beschloss die WBK-N ein Postu-lat, um Cyberabhängigkeiten mehr Gewicht zu verleihen. Der Bundesrat wird ersucht, im Rahmen der Nationalen Strategie Sucht ein entsprechendes Massnahmenpaket zu erarbeiten. Das Vorhaben nimmt ein Anliegen der Suchtfachverbände auf. Pro Juventute begrüsst den stärkeren Fokus auf diese Verhal-tenssüchte und empfiehlt, das Postulat anzunehmen.

Das Postulat schliesst an die bisherige Aufgabenteilung und Koordination der Nationalen Strategie Sucht an. Es sieht die Verantwortung bei den Kantonen sowie bei den im Bereich der Prävention tätigen Vereinen und den sonstigen Akteuren der Suchtprävention. Erarbeitete Massnahmen umfassen dabei die Bereiche Bildung, Prävention, Behandlung und Therapie sowie Risikoverminderung.

Expertinnen und Experten der Suchtverbände wiesen zuletzt im Synthesebericht «Erkenntnisse und Empfehlungen der Expert*innengruppe Onlinesucht» auf bestehende und künftige Herausforderungen hin: Die technologische Entwicklung im Bereich Gaming und Gambling und bei den sozialen Medien ist rasant. Wichtig ist, dass internetbezogene Störungen früh erkannt werden. Dabei haben Erziehungsbe-rechtigte und Lehrpersonen eine entscheidende Rolle, welche in den nächsten Jahren noch weiter gestärkt werden muss.

Postulat Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats «Missbräuchliches Verhalten in Einheiten des Bundes. Schaffung einer unabhängigen nationalen Anlaufstelle» (20.41342)

Behandlung: 1. März 

Pro Juventute begrüsst die Prüfung einer weitergefassten Anlauf- oder Meldestelle.

  • Pro Juventute empfiehlt, das Postulat zu überweisen.  

Begründung

In der vergangen Session haben Sie der Motion «Misshandlungen im Schweizer Sport. Schaffung einer unabhängigen nationalen Anlauf- oder Meldestelle» zugestimmt. Nachdem weitere Fällen von Misshandlungen in Einheiten des Bundes bekannt geworden sind, hat die WBK-N ein Postulat eingereicht, mit dem sie verlangt zu prüfen, ob es eine unabhängige nationale Anlaufstelle braucht, der missbräuchliches Verhalten in vom Bund kontrollierten oder beauftragten Einrichtungen – egal, in welchem Bereich diese tätig sind – gemeldet werden kann.

Pro Juventute hat gestützt auf die jahrzehntelange Erfahrung im Kinder und Jugendbereich an anderer Stelle aufgezeigt, worauf beim Aufbau solcher Anlauf- und Meldestellen ganz besonders zu achten ist. Es sind dies:

  • Erstanlaufstellen und weiterführende Stellen, welche die Begleitung betroffener Personen mittel- und langfristig sicherstellen, müssen unterschiedliche Anforderungen erfüllen: Eine Erstanlaufstelle muss bei der Zielgruppe über eine hohe Bekanntheit verfügen, bestenfalls auf nationaler Ebene angesiedelt und 24/7 erreichbar sein. Sie muss zudem über eine gute und periodisch aktualisierte Triage-Datenbank verfügen, um Betroffene bei Bedarf korrekt an weitere Fachstellen zu verweisen. Für die mittel- und langfristige Begleitung im Anschluss an die Erstberatung kommen unseres Erachtens die (kantonalen) Opferhilfestellen in Frage. In jedem Fall erfordert die Beratung und Begleitung geschulte Fachpersonen.
  • Betroffene suchen sich heute Hilfe und Antworten meist zuerst im Internet. Der digitalen Affinität der Zielgruppen muss Rechnung getragen werden, in dem man auf unterschiedlichen digitalen Kanälen präsent und erreichbar ist.
  • Auch Erwachsene bzw. Leitungspersonen, die im Kontext von Sport und Freizeit mit Kindern und Jugendlichen Kontakt haben, sind auf eine geeignete externe Anlaufstelle angewiesen, um beispielsweise schwierige Situationen mit einer unabhängigen Fachperson besprechen zu können oder bei Konfliktsituationen im Verein oder im Verband eine externe Perspektive und Hilfe zu erhalten. Mit ihrer 24/7-Beratung für Jugendleiterinnen und Jugendleiter stellt Pro Juventute ein solches Angebot heute in allen Landessprachen sicher und triagiert bei Bedarf an regionale Beratungsstellen.
  • Schliesslich weisen wir gemeinsam mit dem nationalen Netzwerk «Prävention sexueller Gewalt im Freizeitbereich» darauf hin, dass eine Meldestelle keine losgelöste Einzelmassnahme sein darf. Vielmehr muss sie eingebettet sein in koordinierte Massnahmen einer umfassenden Prävention, Früherkennung und Frühintervention bei Missbrauchsvorfällen und so Teil sein eines ganzheitlichen Schutzkonzepts. Die Verantwortung, frühzeitig zu handeln, darf nicht an die Betroffenen abgetreten werden. Wir verweisen dazu auch auf die Stellungnahme von Kinderschutz Schweiz und den Fachstellen ESPAS und Limita zur Motion 20.4342 «Misshandlungen im Schweizer Sport. Schaffung einer unabhängigen nationalen Anlauf- oder Meldestelle».

Parlamentarische Initiative «Chancengerechtigkeit vor dem Kindergartenalter», Nationalrat Aebischer (17.412)

Behandlung: 10. März

Pro Juventute begrüsst, dass die Parlamentarische Initiative die «frühe Kindheit» stärker fördern und dem Thema grössere Beachtung verschaffen will.

  • Pro Juventute empfiehlt, der Initiative erneut Folge zu geben.

Begründung

Pro Juventute begrüsst die Stossrichtung der Parlamentarischen Initiative, eine «Politik der frühen Kindheit» auf Bundesebene zu etablieren. Es braucht aber zusätzliche Mittel für Kantone, Gemeinden und nationale Organisationen, damit die Stärkung der frühen Kindheit gelingt. Gleichzeitig muss nämlich unter allen Umständen verhindert werden, dass die Förderung der frühen Kindheit zulasten der etablierten Jugendarbeit geht.

Bei der konkreten Ausgestaltung der Vorlage sind die vier folgenden Punkte essentiell, damit die frühe Kindheit wirklich gestärkt wird:

  • Die Fördermittel von 8,45 Millionen Franken sind dringend nötig. Aber verteilt auf 10 Jahre und 26 Kantone fällt der Betrag im Vergleich zum nachgewiesenen Bedarf sehr bescheiden aus. Es braucht weitere Mittel und die Unterstützung von Gemeinden, Gemeindeverbänden und nationalen Organisationen, die über die vorgeschlagene Finanzierung kantonaler Programme und Massnahmenpakete hinausgehen.
  • Die Koordination der Anschubfinanzierung muss Hand in Hand gehen mit der Ausarbeitung einer nationalen Strategie zur Stärkung und Weiterentwicklung der Frühen Förderung (an-genommenes Postulat 19.3417 «Strategie zur Stärkung der frühen Förderung»). Für die Koordination braucht es auf Bundesebene eine zentrale Anlaufstelle, beispielsweise eine Koordinations- und Fachstelle für frühe Kindheit innerhalb des Bundesamts für Sozialversicherungen.
  • Es muss verhindert werden, dass die ohnehin geringen Beträge für die ausserschulische Jugendarbeit durch eine neue Regelung auf noch mehr Akteure verteilt werden und damit auf Kosten der bisher Begünstigten. Eine stärkere Förderung der frühen Kindheit darf nicht zulasten der organisierten Jugendarbeit gehen. Zusätzlich zur Finanzierung gemäss Art. 11a braucht es deshalb auch eine höhere Kreditlinie für die Zusammenarbeit und Kompetenzentwicklung im Bereich der frühen Kindheit (Art. 18-21 KJFG).
  • Die gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen machen nicht an den Kantonsgrenzen halt, genauso wenig darf dies die frühkindliche Förderung. Für eine echte Chancengleichheit sind minimale nationale Strukturen und ein gemeinsamer Ordnungsrahmen dringend nötig.
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