Erste «Pro Juventute Jugendstudie»: Jeder 10. Jugendliche in professioneller Behandlung

Die «Pro Juventute Jugendstudie» erhebt erstmals repräsentativ den Umgang mit Stress, Krisen, Mediennutzung und Resilienz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schweiz. Die Befunde zeigen signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern und weniger Stress durch soziale Medien als erwartet. Die Studie ist eine Zusammenarbeit der Stiftung mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (KJPP).
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Gruppe-Jugendliche_istock

Seit 2019 hat der Beratungsaufwand des Beratungsangebots 147 von Pro Juventute für Kinder und Jugendliche um über 70 Prozent zugenommen. Verschiedene weitere Zahlen und Befunde zeigen eine verstärkte psychische Belastung von jungen Menschen in der Schweiz. Die Stiftung Pro Juventute wollte deshalb genauer wissen, wie es den Kindern und Jugendlichen in der Schweiz aktuell geht und welche Faktoren ihr Stressempfinden beeinflussen.  

Lulzana Musliu, Leiterin Politik & Medien bei Pro Juventute, sagt: «Es gibt bisher wenige Daten zur psychischen Gesundheit der Schweizer Jugend. Wir möchten als grösste Schweizer Stiftung für Kinder und Jugendliche längerfristig den Puls der Jugend fühlen. Diese Pro Juventute Jugendstudie ist ein erster Schritt.»

Für die Studie wurden repräsentativ Jugendliche und junge Erwachsene in der ganzen Schweiz im Alter von 14 bis 25 Jahren zu ihrem Umgang mit Stress, Krisen, Mediennutzung sowie Resilienz befragt.

Hoher Leistungsdruck und gute Beziehung zu den Eltern

88 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen geben in der Befragung an, sich psychisch wohl zu fühlen. Bei der physischen Gesundheit sind es 94 Prozent. Trotz dieser hohen Werte geben 30 Prozent der jungen Menschen an, sich häufig müde und erschöpft zu fühlen. Als Faktoren, die am meisten zum empfundenen Stress beitragen, gehören Schul- und Ausbildungsstress mit Prüfungen und Klausuren, der allgemeine Leistungsdruck, die Sorge, zu wenig Geld zu haben, mit hohen Anforderungen konfrontiert zu sein sowie Sorgen um die berufliche Zukunft. Stress durch soziale Medien ist für lediglich 15 Prozent der Befragten ein grosses Problem.

Für viele der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Beziehung zu ihren Eltern ein wichtiger Faktor für ihr empfundenes Wohlbefinden. 55 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich auf ihre Eltern verlassen können und 82 Prozent geben an, dass ihre Eltern häufig Verständnis zeigen.    

Mädchen und jungen Frauen geht es deutlich schlechter

Zwölf Prozent der Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Befragung in psychotherapeutischer Behandlung. Rund ein Drittel der Befragten hat bereits Therapieerfahrung und professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie (28 Prozent) oder einer psychosozialen Beratung (7 Prozent) in Anspruch genommen. Mädchen und jungen Frauen geht es deutlich schlechter als gleichaltrigen Jungen und jungen Männern. So fühlen sich 36 Prozent der Mädchen und jungen Frauen oft müde und erschöpft im Gegensatz zu 21 Prozent der männlichen Befragungsteilnehmern. Auch bei der Frage, ob sie sich bereits in psychologischer oder psychotherapeutischer Behandlung begeben haben, geben dies 33 Prozent der Mädchen und jungen Frauen an im Gegensatz zu 22 Prozent der Jungen und jungen Männern.

Susanne Walitza, Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie Zürich (KJPP) und Leiterin des Forschungsteams der Studie, ordnet ein: «Die Frage, warum es den jungen Mädchen und Frauen schlechter geht, ist nicht abschliessend zu beantworten. Einige Ergebnisse der Studie zeigen, dass Mädchen und junge Frauen sich mehr belastet fühlen durch ihre aktuelle Situation und durch die Schule bzw. Ausbildung, sich tendenziell mehr Sorgen um die Welt machen, stärker emotional und körperlich auf Stress reagieren und sich selbst kritischer sehen. Die Studie verweist aber insgesamt auf eine gute mentale Gesundheit der meisten Jugendlichen und erfreulicherweise auch auf sehr positiv erlebte Beziehungen zu den Eltern»

Rund 25 Prozent machen sich grosse Sorgen um die Welt

Kinder und Jugendliche wachsen aktuell in einem Kontext einer Multikrise, von den Vereinten Nationen als Permakrise bezeichnet, auf. Die Studie wollte auch untersuchen, wie Jugendliche in der Schweiz die Nachrichten aus der Welt und der Schweiz wahrnehmen und welchen Effekt dies auf ihr Wohlbefinden hat.  

Rund ein Viertel der Befragten zeigt sich aufgrund des Weltgeschehens besonders betroffen. Dabei finden sich erneut Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Jungen und junge Männer machen sich im Vergleich zu weiblichen Gleichaltrigen etwas weniger Sorgen. Ungerechtigkeit in der Welt und Rassismus beschäftigen weibliche Teilnehmende etwas stärker als männliche. Während ein Drittel der befragten Mädchen und jungen Frauen wegen Sexismus sehr besorgt sind, sind es bei Jungen und jungen Männern nur 12 Prozent.  

Die männlichen Befragten beschäftigen vor allem die politischen Entwicklungen in der Welt sowie die Spaltung der Gesellschaft, gefolgt von Verfälschungen in den Medien und KI.  Die weiblichen Befragten nannten häufig die Ungerechtigkeit in der Welt, gefolgt von fehlender Toleranz.  

Über 50 Prozent haben grosse Schwierigkeiten, das Handy wegzulegen

Der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist digital. Die Studie befragte sie daher auch zu ihrem Nutzungsverhalten und untersuchte, ob eine stärkere Handynutzung mit mehr empfunden Stress oder psychischen Problemen zusammenhängt. Die Mehrheit der Befragten gibt an, Medien auch zur Stressbewältigung zu nutzen.  

Dass es oft schwierig ist, die Mediennutzung zu unterbrechen, gibt in der Gesamtgruppe rund die Hälfte an. Je älter die Teilnehmenden sind, desto besser gelingt es ihnen, das Smartphone auch mal wegzulegen. Fast 30 Prozent der Teilnehmenden verwenden Medien regelmässig zur Stimmungsaufhellung. Andere Risikomerkmale (z.B. Streit mit dem Umfeld wegen Mediennutzung) liegen jeweils bei rund 15 Prozent der Befragten im problematischen Bereich.  

Die Nutzung digitaler Medien führt auch zu positiv erlebten Effekten. Mehr als die Hälfte der Befragten nutzt das Internet, um Kontakte zu pflegen. 20 Prozent der Befragten geben an, über das Internet Freundinnen oder Freunde gefunden zu haben. Die tägliche Nutzungsdauer beträgt durchschnittlich zwischen vier und fünf Stunden. 

Zweite Erhebung geplant

Die Pro Juventute Jugendstudie wurde in enger Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und der Universität Lausanne durchgeführt. Der Fragebogen, der auch sensible Fragen zur persönlichen Situation beinhaltete, wurde durch die Kantonale Ethikkommission des Kantons Zürichs vorgängig geprüft.  

Die Erhebung fand im Sommer 2024 durch das Forschungsinstitut YouGov statt. Eine zweite Erhebung ist im 1. Halbjahr 2025 geplant. Ermöglicht wurde die erste Pro Juventute Jugendstudie durch die finanzielle Unterstützung der Ernst Göhner Stiftung. Pro Juventute plant, eine längerfristige Erhebung zu Jugendlichen in der Schweiz zu etablieren, ähnlich wie sie etwa Deutschland mit der Trendstudie kennt. 

Lesen Sie die Pro Juventute Jugendstudie

Kontakt für Medienschaffende

Lulzana Musliu
Leiterin Politik & Medien
Tel. 076 312 13 25
medien@projuventute.ch

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