Stimmrechtsalter 16: Teilhabe der Jungen stärkt den Generationenvertrag

Image
Junge Erwachsene beim Lernen. Pro Juventute setzt sich für das Stimmrechtsalter 16 ein.
  • Frühe Mitsprache ist ein wirkungsvolles Mittel, um Jugendliche für die Übernahme politischer Verantwortung zu motivieren. Nur wer mitbestimmen kann, übernimmt gesellschaftliche Verantwortung, wird mit den politischen Regeln vertraut und denkt in der Gesellschaft mit.
  • Pro Juventute will, dass Jugendliche die politische Kompetenz erhalten, damit sie ihre Rechte aktiv nutzen können. Voraussetzung dafür sind eine Ausweitung der politischen Bildung, die Sensibilisierung für Kinderrechte und mehr Ressourcen hierfür an Schulen und Berufsschulen.
  • Das Stimmrechtsalter 16 muss allen Schweizer Jugendlichen offenstehen. Und zwar ohne Registrierungspflicht oder ähnliche Hürden.
  • Pro Juventute setzt sich dafür ein, dass Kinder und Jugendliche ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sind. Dazu gehört, dass sie ihre Lebenswelt und das Umfeld aktiv mitgestalten können – und zwar auch und gerade in der Politik. 

Kinder und Jugendliche gestalten unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht mit. Doch tun sie dies bis zum 18. Lebensjahr ohne Stimmrecht1. Partizipation von Kindern und Jugendlichen, allen voran auch die politische2, ist ein zentrales gesellschaftliches Anliegen. Es gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit. Motiviert wird es auch von der Angst, die Heranwachsenden könnten der Politik den Rücken kehren. Das wäre im demokratischen System der Schweiz gleich doppelt problematisch. Zum einen ist die Schweiz mit ihren vielen Institutionen des Milizsystems auf politischen Nachwuchs angewiesen, zum anderen offenbart sich ein demokratisches Legitimationsproblem, wenn Menschen Entscheidungen treffen, von denen in erster Linie andere betroffen sind, in diesem Fall die junge Generation. Bereits heute ist die Stimmbeteiligung bei den unter 30-Jährigen nicht einmal mehr halb so hoch wie bei den über 70-Jährigen. Berechnungen von Avenir Suisse zeigen, dass 2035 die Hälfte der Stimmenden über 60 Jahre alt sein3.

Ein einfaches Instrument gegen das zunehmende politische Ungleichgewicht zwischen den Generationen ist die Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre. Entsprechende Forderungen sind längst auch in der Politik angekommen. Sie werden lauter – und mehrheitsfähig: Glarus kennt das aktive Stimm- und Wahlrechtsalter 16 für kantonalen Angelegenheiten, in vielen weiteren Kantonen und auch auf Bundesebene sind Diskussionen angelaufen oder entsprechende Vorstösse hängig.

Nur wer mitbestimmen kann, übernimmt gesellschaftliche Verantwortung

Frühe Mitsprache ist ein wirkungsvolles Mittel, um Jugendliche zu motivieren und zu befähigen, politische Verantwortung zu übernehmen. Wer mitbestimmt, kann sich mit den politischen Regeln vertraut machen, setzt sich stärker mit politischen Fragen auseinander und denkt in der Gesellschaft mit. Umfragen unter Jugendlichen zeigen, dass politisches Interesse und die Bereitschaft zur aktiven Beteiligung stark zusammenhängen. Das heisst: Jugendliche, deren Interesse für die Politik während der Schulzeit geweckt wird, wollen auch praktisch mitbestimmen können. Bleibt ihnen das versagt, lässt das Interesse rasch wieder nach. Hinzu kommt: Dürfen Jugendliche erst wählen, werden sie für Politikerinnen und Politikern als potentielle Wählende interessant. Ihre Anliegen dürften dann auch eher gehört und berücksichtigt werden. Pro Juventute sieht in der Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre deshalb auch die Möglichkeit, das politische und gesellschaftliche Verhältnis zwischen den Generationen, den Generationenvertrag, zu stärken.

Neue Pflichten und Rechte bedingen politische Kompetenz

Die Ausweitung von politischen Rechten für Jugendliche führt nicht automatisch auch zu einer höheren Beteiligung der Jungen. Darin ist sich die Wahl- und Abstimmungsforschung einig. Nur mit einer fundierten politischen Bildung steigt das Interesse an der Politik und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Jungen aktiv am politischen Geschehen beteiligen. Dazu braucht es nicht nur eine Ausweitung von Bildungsangeboten, die demokratische Werte und politisches Sachwissen fördern, sondern vor allem auch entsprechend mehr Ressourcen für die politische Bildung an Schulen und Berufsschulen. Pro Juventute verfügt über viel Erfahrung im Bereich der Jugendbeteiligung, zum Beispiel mit dem Campus für Demokratie, mit nationalen Jugendworkshops und mit Workshops zur politischen Bildung. Pro Juventute will die Jugendlichen fit machen, damit sie ihre neuen Rechte auch aktiv nutzen.

Stimmrechtsalter 16 muss allen Jugendlichen offenstehen

Im Sinne der Chancengleichheit muss die Möglichkeit zur politischen Teilhabe allen Jugendlichen ab 16 Jahren zustehen, und zwar ohne weitere Hürden. Aus der umfangreichen Forschung über Wahlbeteiligung ist hinlänglich bekannt, dass zum Beispiel eine Registrierungspflicht, also ein Stimmrecht auf Anfrage, bestimmte Gruppen davon abhält, sich auch tatsächlich aktiv zu beteiligen. Selbstselektion dieser Art muss unbedingt verhindert werden. Pro Juventute setzt sich deshalb für ein Stimmrecht ab 16 Jahren ein, dass für alle Schweizer Jugendlichen vorbehaltlos gilt, ohne dass sie zusätzliche Voraussetzungen erfüllen oder sich registrieren müssen4.

Die 16- und 17-Jährigen sind bereit für die Politik

Untersuchungen zum Wahlalter 16 aus Österreich zeigen, dass die Wahlbeteiligung bei den 16- und 17-Jährigen zwar tief ist, die Qualität der Entscheidfindungen aber nicht schlechter und die Motivation zur Teilnahme nicht tiefer ist, als dies bei den älteren Wählenden der Fall ist5. In der Schweiz ist das Stimm- und Wahlrecht an die Urteilsfähigkeit geknüpft. Diese richtet sich danach, ob die Jugendlichen für eine bestimmte Aufgabe genügend verantwortungsvoll handeln können. Diesbezüglich sind sich immer mehr Politikerinnen und Wissenschaftler einig: 16-Jährige bringen die kognitiven Voraussetzungen mit, um ihr Stimm- und Wahlrecht auszuüben, und sind sich der Verantwortung, die mit diesem Recht einhergeht, sehr wohl bewusst.

Als grösste Organisation für Kinder- und Jugendliche in der Schweiz setzt sich Pro Juventute dafür ein, dass Kinder und Jugendliche gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben und ihre Lebenswelt und ihr Umfeld selber mitgestalten können. Voraussetzung dafür ist, dass wir sie in politischen und gesellschaftlichen Fragen nicht nur anhören, sondern sie integrieren und mit den entsprechenden Rechten zur Mitbestimmung ausstatten. Denn politische Teilhabe und gesellschaftliche Integration bedingen sich wechselseitig.


1Die Schweiz regelt in der Bundesverfassung in Art. 6, Art. 11 und Art. 41 Abs.1 sowie im Rahmen der Ratifizierung der UNO-Kinderrechtskonvention das Recht der Kinder und Jugendlichen, unsere Demokratie mitgestalten zu können.
2Dieses Positionspapier beschränkt sich auf formelle Politik, im Wissen darum, dass Mitsprache und Mitgestaltung viele andere Formen kennt. 
3Avenir Suisse (2016): CH 1995 2035. Globale Trends, nationale Herausforderungen, liberale Lösungen
4Dabei darf nicht vergessen gehen, dass ausländische Jugendliche auch trotz Stimmrechtsalter 16 nach wie vor auf nationaler Ebene von der politischen Mitsprache ausgeschlossen sind.
5Wagner, Johann and Kritzinger (2012): „Voting at 16: Turnout and the quality of vote choice“ in: Electoral Studies (31/2).

Jetzt spenden