Nur zwei von drei Kindern können in der Schweiz unbeaufsichtigt draussen spielen
Jedes dritte Kind in unserem Land kann gar nicht draussen spielen oder nur unter der ständigen Aufsicht von Erwachsenen. Dies ergab eine Befragung von 649 Familien aller sozialen Schichten aus der Deutschschweiz und der Romandie, welche die Universität Freiburg, die Evangelische Hochschule Ludwigsburg und das Marktforschungsinstitut GfK Switzerland im Auftrag von Pro Juventute durchgeführt haben. Pro Juventute fordert, dass in der Raum- und Stadtentwicklung die Bedürfnisse der Kinder nach Freiräumen in ihrer Wohnumgebung ernst genommen und stärker berücksichtigt werden. «Bewegung und freies Spielen fördern die körperliche Gesundheit von Kindern sowie ihr psychisches Wohlbefinden, ihre Sprache, ihre Emotionen und ihr Sozialverhalten», erklärt Urs Kiener, Leiter Grundlagen bei Pro Juventute. «Doch während sich Kinder und Jugendliche in den 1970er Jahren im Durchschnitt 3 bis 4 Stunden pro Tag bewegten, verbringen sie heute einen Grossteil ihrer Schul- und Freizeit sitzend», so Kiener weiter.
Ausschlaggebend, dass Kinder draussen spielen und sich genügend bewegen können, sind die Beschaffenheit des unmittelbaren Wohnumfelds und die Möglichkeiten für Interaktion und Kontakt mit Gleichaltrigen. Anders gesagt: Ob Spielräume von den Eltern als gefährlich oder ungefährlich wahrgenommen werden, ob sie zugänglich und gestaltbar sind, aber auch, ob sich im Umfeld Möglichkeiten zur Interaktion mit anderen Kindern ergeben, beeinflusst wesentlich, wie oft und wie lange Kinder die Wohnung verlassen und selber draussen spielen. Und sie tun dies deutlich seltener als früher, wie die heute veröffentlichte Studie belegt: Im Durchschnitt spielt ein Kind in der Schweiz noch 47 Minuten pro Tag draussen, davon 29 Minuten selbständig und ohne Aufsicht. Deutliche Unter-schiede zeigen sich zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweiz. In deutschsprachigen Gebieten spielen Kinder im Durchschnitt 32 Minuten ohne Aufsicht draussen, in französischsprachigen dagegen nur rund 20 Minuten.
Qualität des Wohnumfelds entscheidend
Jedes siebte Kind (15%) in unserem Land spielt gar nicht draussen und weitere 20% der Kinder nur unter der ständigen Aufsicht von Erwachsenen. Den grössten Einfluss auf die Zeit, die Kinder selbständig draussen verbringen, hat die Qualität des Wohnumfelds. «Kinder können sich ihre Räume nicht aussuchen, sie sind an ihr unmittelbares Umfeld gebunden», so Petra Stocker, Projektkoordinatorin Spielraum und Spielkultur bei Pro Juventute. Die Ressourcen der Familien wirken sich direkt auf das Umfeld aus, in welchem die Kinder aufwachsen. Während 50% der Kinder, deren Eltern einen mittleren Bildungsabschluss haben, in einem eher guten oder sehr guten Wohnumfeld leben, sind es bei Kindern von Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss nur 19%. «Diese Kinder sind doppelt benachteiligt, denn sie verbringen weniger freie Zeit draussen, und gleichzeitig besuchen sie seltener kostenpflichtige Veranstaltungen und Kurse», so Stocker weiter.
Gefragt: mehr kindgerechte Räume
«Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang. Wenn sie die Möglichkeit haben, nutzen sie jede freie Minute zum freien Spiel. Durch den zunehmenden Verkehr und die starke Bebauung wird der öffentliche Raum, der Kindern Gelegenheit zum freien Klettern, Hüpfen und Springen bieten würde, jedoch immer rarer», so Kiener.
Um Kindern die nötigen Freiräume für freies Spielen im unmittelbaren Wohnumfeld zu ermöglichen, fordert Pro Juventute daher Qualitätsstandards für kindergerechte Freiräume, eine institutionelle Verankerung der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in den Prozessen der Raumplanung sowie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Gestaltung des öffentlichen Raums. «Das Kinderspiel darf nicht nur auf den Spielplätzen stattfinden. Kinder müssen direkt vor der Haustür spielen können», so die Forderung von Petra Stocker von Pro Juventute.
Studiendesign:
- Auftraggeberin/Herausgeberin: Pro Juventute
- Studiendesign und Aufbereitung der Ergebnisse: Prof. Dr. Baldo Blinkert von der Universität Freiburg und Prof. Dr. Peter Höfflin von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg.
- Erkenntnisinteresse: Zu den Spielmöglichkeiten von Kindern in unserem Land fehlen grundlegende Informationen. Die Studie geht folgenden Fragen nach: Wie lange spielen Kinder in der Schweiz überhaupt draussen? Wovon hängt es ab, ob und wie lange sie Zeit im Freien verbringen? Können sie ihre Freunde selbständig besuchen? Und gibt es Unterschiede zwischen den Sprachregionen, zwischen Stadt und Land sowie zwischen verschiedenen Bildungsschichten?
- Methode: Online-Befragung durch GfK Switzerland, Erhebungszeitraum: 1. bis 15. Februar 2016. Befragt wurden 649 Familien mit Kindern im Alter von 5 bis 9 Jahren aus der Deutschschweiz und der Romandie.
- Veröffentlichung der Ergebnisse: 21. November 2016.
Für Bildmaterial, weitere Informationen und Interviews:
Institut für Soziologie der Universität Freiburg, Prof. Dr. Baldo Blinkert
+49 761 288364, baldo.blinkert[at]soziologie.uni-freiburg.de
Evangelische Hochschule Ludwigsburg, Prof. Dr. Peter Höfflin,
+49 7141 9745-213, p.hoefflin[at]eh-ludwigsburg.de
Pro Juventute, Petra Stocker, Projektkoordinatorin Spielraum und Spielkultur
Pro Juventute, Urs Kiener, Leiter Grundlagen
Medienanfragen koordiniert: Pro Juventute, Ingo Albrecht
044 256 77 69, ingo.albrecht[at]projuventute.ch
Wir machen uns stark für Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern in der Schweiz
Pro Juventute unterstützt Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern auf dem Weg zu selbst- und sozialverantwortlichen Persönlichkeiten. Mit vielfältigen Angeboten hilft die Stiftung direkt und wirkungsvoll. Sie bietet spannende und gut frequentierte Programme und Dienstleistungen, wie die Pro Juventute Beratung + Hilfe 147 oder die Pro Juventute Elternberatung an. Davon profitieren jährlich rund 265'000 Kinder und Jugendliche und 100‘000 Eltern in der Schweiz.