Familie & Gesellschaft

Wenn Corona das Grundvertrauen erschüttert

Wie machtlos wir in gewissen Situationen sind, macht die Corona-Krise deutlich. Die Zukunft ist ungewisser denn je und widersprüchliche Meinungen lösen Verunsicherungen aus. Barbara Wüthrich von der Pro Juventute Elternberatung erzählt, wie sie und ihr Team Eltern unterstützen und begleiten.
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Grossmutter und Enkel schützen sich mit einer Maske vor dem Coronavirus.

Mütter und Väter fragen sich: Was sollen wir glauben, wenn sich sogar Expertinnen und Experten uneinig sind? Wie sollen sich Kinder zurechtfinden, wenn alles so ungewiss ist? Wie werden so grundlegende Fragen von der Elternberatung aufgefangen?

Barbara Wüthrich: Für uns ist wichtig, gemeinsam mit den Eltern nach Lösungen zu suchen. Im Gespräch finden wir heraus, was bedrückt, belastet, seltsam anmutet oder widersprüchlich klingt. In Bezug auf die Situation rund um das Coronavirus bestärken wir Eltern darin, dass sie ihren Kindern die eigene Unsicherheit auch mal zeigen dürfen und diese Ehrlichkeit zumutbar ist. Natürlich brauchen Kinder trotzdem einen Orientierungsrahmen. Sobald sie die Meinung der Eltern kennen, können sie eher verstehen, warum gewisse Massnahmen in der Familie, im Kindergarten, in der Schule momentan notwendig sind. 

Woran sollen sich Eltern orientieren, wenn sie Regeln für die Familie aufstellen und die Vorgaben der Schule auf den Familienalltag abstimmen müssen?

Barbara Wüthrich: Wir bestärken Eltern darin, sich auf das was sie wissen und auf Dinge, die machbar sind, zu fokussieren. Unsere Empfehlung lautet, Informationen von offiziellen Stellen, wie das BAG, zu studieren und diese Regeln zu befolgen. Besteht ein gewisser Spielraum können die Massnahmen auf eigene Bedürfnisse und Werte sowie das Alter der Kinder abgestimmt werden. Indem wir nachfragen, helfen wir den Anrufenden zu ihrer eigenen Sicherheit zurückzufinden. Manchmal sind Empfehlungen der Schule oder das Verhalten von Lehrpersonen oder anderen Kindern für Eltern nicht nachvollziehbar. In solchen Fällen regen wir dazu an, direkt nachzufragen und die eigene Verunsicherung oder das eigene Unbehagen auszusprechen. 

Dass die Kantone die Rückkehr in die Schule unterschiedlich handhaben und jede Schule ein individuelles Schutzkonzept umsetzt, trägt ebenfalls zur Verunsicherung von Eltern bei. Vor allem auch, weil einzelne Massnahmen unterschiedlich strikt sind.

Barbara Wüthrich: Ja, momentan ist vieles ungewiss und auch Fachleute wissen vieles noch nicht. Obwohl der Wunsch nach Sicherheit einem menschlichen Bedürfnis entspricht, sind wir momentan als Gesellschaft gefordert, mit der Corona bedingten Unsicherheit umzugehen. Mütter und Väter müssen also erst herausfinden, welchen Weg sie mit ihrer Familie gehen möchten. Bei diesem Suchprozess kann unsere Beratung eine wichtige Rolle einnehmen. Analog zu Wissenschaft und Politik müssen Eltern Regeln und Abmachungen aufgrund neuer Erkenntnisse stets verändern und anpassen. Es geht immer darum, trotz Erschütterung wieder Stabilität zu gewinnen und den Kindern Sicherheit zu vermitteln.

In einer ungewissen Situation musste der Bundesrat Entscheidungen fällen. Im Nachhinein wird nun plötzlich Kritik laut. Wie beispielsweise, dass es unnötig war, Schulen zu schliessen. Wie erklärt man Kindern solche Ungereimtheiten.

Barbara Wüthrich: Auch hier geht es darum, dem Kind verständlich zu machen, was mit dieser Massnahme bezweckt wurde. Eltern können ihren Kindern erklären, dass man mit einer Schulschliessung vermeiden wollte, dass Leute unnötig krank werden und deshalb sehr vorsichtig war. Vielleicht sind gewisse Regelungen in der Schule nicht immer ganz nachvollziehbar und doch müssen sie respektiert werden. Beispielsweise, wenn sich Gruppen im Schulhaus nicht mischen dürfen, diese Regelung in der Pause aber nicht umgesetzt wird. Im Wissen darum, dass es Widersprüche gibt und man gewisse Dinge im Nachhinein anders beurteilt, ermuntern wir Eltern nachzufragen, sich untereinander auszutauschen und Toleranz zu üben. Für jedes Familienmitglied gilt: Alle müssen lernen, die eigene Unsicherheit auszuhalten. Hilfreich ist, sich darauf zu besinnen, was einem gut tut und Sicherheit gibt. 

Auch in Bezug den Umgang mit Grosseltern machte sich Verunsicherung breit. Wie sollen sich Eltern verhalten?

Barbara Wüthrich: Wenn man Kindern auf verständliche Art und Weise aufzeigt, warum man sich für etwas entschieden hat, sind sie durchaus in der Lage, das zu verstehen. Im Gespräch geht es uns darum, aufzuzeigen, wie wichtig es ist, Selbstverantwortung zu übernehmen, Entscheide zu fällen und umzusetzen. In der Gewissheit, dass man erst im Nachhinein weiss, ob man die Situation richtig beurteilt hat. Beispielsweise soll jede Familie für sich selbst entscheiden, ob sie die Grosseltern schon wieder treffen oder das Wiedersehen noch etwas aufschieben möchte. Obwohl es keine Garantie gibt, ob man richtig handelt, ist es wichtig, auch in unsicheren Zeiten, den eigenen Weg, mit einer gewissen Gelassenheit und Zuversicht zu gehen. 

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